Klarnamenpflicht in sozialen Medien
Der Bundesrat will über einen Gesetzesentwurf zur verpflichtenden Erhebung von Klarnamen durch soziale Netzwerke entscheiden. Die Gefahren und die Unsinnigkeit dieses Vorhabens haben wir hier zusammengefasst.

Heute wird im Bundesrat über einen Gesetzesentwurf zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität abgestimmt, in dem die Erhebung von Klarnamen für soziale Medien verpflichtend wird [1]. Hierbei geht es um den in der Drucksache 87/1/20(neu) auf Seite 27 eingefügten §3b:
§ 3b Identifizierungspflicht
(1) Anbieter sozialer Netzwerke und Anbieter von Spieleplattformen sind verpflichtet, die Nutzer bei der Registrierung zu identifizieren. Bei der Identifizierung haben die Anbieter sozialer Netzwerke und die Anbieter von Spieleplattformen folgende Angaben zu erheben:
1. den Namen und die Anschrift des Nutzers sowie
2. bei natürlichen Personen deren Geburtsdatum.
(2) Die Identifizierung hat in den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 bei natürlichen Personen zu erfolgen anhand
1. eines gültigen amtlichen Ausweises [...]
2. eines elektronischen Identitätsnachweises [...]
3. einer qualifizierten elektronischen Signatur [...]
4. eines [...] notifizierten elektronischen Identifizierungssystems. [...]
Die Überprüfung kann auch durch andere geeignete Verfahren erfolgen; [...] wobei jeweils zum Zwecke der Identifikation ein Dokument im Sinne des Satzes 1 genutzt werden muss.
Diese Änderung wird als Mittel zur Bekämpfung von Hassrede im Internet auf Seite 29 desselben Dokumentes wie folgt begründet:
Mithilfe der im vorgeschlagenen § 3b Absatz 1 NetzDG eingeführten Pflicht für Anbieter sozialer Netzwerke und für Anbieter von Spieleplattformen, die Nutzerinnen und Nutzer bei der Registrierung durch Erhebung von Name und Anschrift sowie bei natürlichen Personen von deren Geburtsdatum zu identifizieren, wird die Identifizierbarkeit der Täterinnen und Täter beschleunigt und so die Durchführung von Ermittlungen erleichtert. Eine Pflicht, Postings unter dem jeweiligen Klarnamen einzustellen, ist damit nicht verbunden.
Daraus ist auch ersichtlich, dass die Klarnamenpflicht auf dem Papier nur gegenüber des*der jeweiligen Bertreiber*in und der Ermittlungsbehörden gilt. Weiterhin betrifft dieses Gesetz nur soziale Netzwerke und Spieleplattformen mit mehr als 2 Millionen inländischen Nutzer*innen.
Klarnamenpflicht im Internet
Die Forderung nach einer Klarnemenpflicht im Internet kommt im Kontext von Hassrede im Internet häufig auf. Meist wird hierbei eine Pflicht gefordert, die weiter geht als der vorliegende Gesetzesentwurf, nämlich eine Pflicht unter diesem Klarnamen auch die Postings einzustellen. Warum hier der Wegfall der Pseudonymität nicht nur eine schlechte Idee sondern auch gefährlich ist, wurde an anderen Stellen schon tiefgreifender erläutert, beispielsweise in diesem Artikel auf netpolitik.org. In diesem Artikel werden beispielhaft verschiedene Szenarien aufgestellt, die eine Pseudonymität im Internet begründen. Die vielzähligen Gründe reichen dabei von Diskriminierung bis hin zu Lebensgefahr der Betroffenen. In dem Artikel wird noch eine Auflistung im Geek Feminist wikia verlinkt, welche noch wesentlich ausführlicher darauf eingeht.
Nun geht es im bestehenden Gesetzesentwurf nicht um eine Klarnamenpflicht im Internet gegenüber der Öffentlichkeit, sondern "nur" gegenüber der Betreibenden und des Staates. Doch auch hier ergeben sich einige Probleme.
Datensicherheit in IT-System
Zuallerst ist es schlicht illusorisch zu glauben unsere Daten wären in einem IT-System sicher. Dies ist zum einen darin begründet, dass es ein absolut sicheres IT-System nicht gibt. Hierbei können Versehen, technische Fehler, das Eindringen von Unbefugten in das System und weitere Gründe dafür sorgen, dass die Daten in die Hände von Dritten gelangen. Weitergehend verkaufen gerade Anbietende von großen sozialen Medien Erwiesenermaßen die Daten Ihrer Nutzer*innen zu Werbezwecken. Hierzu gibt es unzählige Beispiele: [1] [2] [3] [4] [5] [6]
Angenommen die Daten mit der Zurordnung von Accounts in sozialen Medien zu den Klarnamen würde nicht bei den Anbietenden, sondern beim Staat zentral gelagert, müsste dennoch davon ausgegangen werden, dass diese Daten durch Fehler abhanden kommen könnten. Weitergehend wären für erfolgreiche Hacker*innen bequem ALLE Daten in einer Datenbank erreichbar und nicht mehr verteilt über mehrere Server.
Käme es nun in dem Szenario des obigen Gesetzes zu einem solchen Datenleck, so wäre die eventuelle Pseudonymisierung auf der Plattform völlig hinfällig. Damit wären die Nutzer*innen so ziemlich all jenen Gefahren, die im obigen Wiki-Eintrag beschrieben wurden ausgesetzt.
Gefahren durch den Staat
Doch es gibt noch weitere Gründe, die gegen diesen Gesetzesentwurf sprechen. Selbst unter der Annahme, dass diese Daten nur den Anbietenden und dem Staat zugänglich wären, ist dieser Gesetzesentwurf weiterhin gefährlich.
So sind Polizei und Bundeswehr von rechten Netzwerken durchdrungen. Dass Daten von Polizeicomputern bei Nazis landen ist schon vorgekommen. So sei beispielsweise das Hannibal-Netzwerk zu nennen [1]. Wenn nun ein Netzwerk, in dem unter anderem Polizist*innen aktiv sind, Todeslisten mit politischen Feinden führt, so liegt die Vermutung nahe, dass diese Listen auch aus Datenbeständen der Polizei gefüttert wurden.
Doch auch im Falle des "NSU 2.0" ging eine reale Bedrohung durch die Polizei aus, als nämlich von einem Computer Daten aufgerufen, welche später dazu verwendet wurden ein Drohschreiben gegen eine Frankfurter Rechtsanwälting zu verschicken [1].
Somit lässt sich davon ausgehen, dass von der Gesetzesänderung eine reale Gefahr für die von Nazis bedrohten Gruppen bestünde, denn es bestünde ein vereinfachter Zugang zu deren Daten.
Auch müsste bedacht werden, dass diese Regelung das Leben von Oppositionellen und Aktivist*innen in einem autoritärer werdenendem Staat unsicherer macht. So wären diese Gesetze in Händen einer fachistischen Regierung absolut tödlich.
Zugang zu sozialen Netzwerken
Von dieser Regelung wären außerdem auch Personen ohne Dokumente betroffen. So wäre es für Geflüchtete, Wohnungslose usw. nicht möglich soziale Netzwerke zu nutzen, die aber teilweise essenziellen Nutzen bieten würden. Sei es zur Vernetzung untereinander, sei es um den Kontakt zur zurückgelassenen Familie aufrecht zu erhalten. Doch auch die Möglichkeit die eigene Perspektive zu schildern, seine eigene Meinung zu vertreten, wäre hier plötzlich stark eingeschränkt. Hier würden wir Menschen, die sowieso schon nur eine geringe Plattform haben, den Zugang zu einer der größten Plattform der aktuellen Zeit, verwehren.
Doch auch Minderjährige hätten keine Möglichkeit mehr sich an sozialen Netzwerken anzumelden. Denn unter 16-Jährige können sich ohne Zustimmung der Eltern keine Personalausweise ausstellen lassen. Dies geht an der aktuellen Realität vorbei und würde erneut Menschen mit einer schon geringen Plattform diese nur noch verkleinern.
Auf Facebook würde dieses Gesetz dann eine echte Klarnamenpflicht bedeuten. So suggeriert Facebook in seinen Richtlinien stark, dass Nutzer*innen ihre Namen verwenden sollten [1]. Weitergehend überprüft Facebook automatisiert ob die verwendeten Namen echt klingen.
Eine Erhebung der Ausweisdaten bei der Registrierung würde hier vermutlich dazu führen, dass eine Pseudonymisierung auf dieser Plattform unmöglich wird. So sehr wir natürlich davon abraten Facebook zu nutzen, so wäre dies dennoch eine besorgniserregende Entwicklung.
Auswirkung auf freie, dezentrale soziale Netzwerke
Auch freie, dezentrale soziale Netzwerke wie Mastodon könnten von diesem Gesetz betroffen sein. Zwar werden die einzelnen Instanzen kaum an die zwei Millionen Marke kommen, doch können sie ja alle frei untereinander kommunizieren. Das gesamte Netzwerk an Instanzen würde dann mit seinen rund drei Millionen Nutzer*innen doch betroffen.
Doch könnten die einzelnen, meist ehrenamtlich tätigen, Betreibenden wohl kaum den Verwaltungsaufwand leisten, den diese Regelung erfordern würde. Damit wäre eine freie und dezentrale Alternative zu den großen, propriertären Netzwerken geschädigt.
Effektivität der Maßnahmen
Außerdem ist es äußert fraglich ob diese Maßnahmen den gewünschten Zweck erfüllen. So hetzen in sozialen Medien Nazis offen gegen unter ihren Klarnamen gegen ihnen unliebsame Minderheiten, ohne dass eine Reaktion erfolgt. Ob der Abschreckungsfaktor der fehlenden Anonymität greifen würde darf also als fraglich betrachtet werden.
Auch auf Facebook, wo Menschen unverbindlich verpflichtet sind ihre Klarnamen anzugeben, scheint dies wenig Wirkung zu zeigen.
Auch die Erfahrungen in Südkorea, wo eine Klarnamenpflicht 2007 eingeführt wurde, malen hier ein anderes Bild [1]. Dort wurde der Rückgang von "malicious comments" lediglich von 13.9 auf 13.0 Prozent der gesammten Kommentare verzeichnet. Das Gesetz wurde in Südkorea 2012 vom dortigen Verfassungsgericht gekippt, da es die Redefreiheit im Netz verletzte [2].
Eine Auswertung der IP-Adressen wäre für die Strafverfolgung mehr als ausreichend. Zumal sich durch die Möglichkeit diese Auswertung zu umgehen genauso eine Klarnamenerhebung welche nur in Deutschland umgesetzt wäre umgehen ließe (denn über einen VPN ließe sich ohne Schwierigkeiten auch ein anderes Land vortäuschen).
Geltendes Recht
Weitergehend verstößt diese Regelung vermutlich gegen geltendes Recht (welches in der vogeschlagenen Gesetzesänderung nicht verändert wird). So lautet §13 (6) des Telemediengesetzes:
(6) Der Diensteanbieter hat die Nutzung von Telemedien und ihre Bezahlung anonym oder unter Pseudonym zu ermöglichen, soweit dies technisch möglich und zumutbar ist. Der Nutzer ist über diese Möglichkeit zu informieren.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der heute im Bundesrat abzustimmende Gesetzesentwurf ineffektiv und gefährlich ist. Einerseits werden die geforderten Maßnahmen ihr genanntes Ziel nicht erreichen. Zumal es für diesen Grad an Effekt Maßnahmen deutlich geringerer Gefahr geben würde, welche den Gesetzgeber*inne zur Verfügung stünden. Hier zeigt sich erneut der fachliche Unverstand welcher in der Regierung bei netzpolitischen Fragen vorherrscht, der wie so oft in kaum mehr als blindem Aktionismus endet.
Außerdem zeigt sich wie in der Gesetzgebung durch überprivilegierte Gruppen die Belange von diskriminierten Gruppen kaum beachtet werden. Weitergehend wird natürlich ein weiterer Stein für den Ausbau des Überwachungsstaates gelegt. Erneut wird zudem die Monopolstellung amerikanischer Plattformen wie Facebook gefestigt werden.
Damit sollte klar sein, dass dieses Gesetz in einem unverhältnismäßigem Umfang Schaden anrichten würde, der sich absolut nicht durch den bestenfalls umstrittenen Nutzen der Maßnahmen rechtfertigen ließe.
Zum Schluss würden wir dann doch nochmal die aktuelle Corona-Krise erwähnen. Durch den kompletten Fokus der Berichterstattung auf diese Krise scheint diese Gesetzesänderung gerade unter dem Radar der meisten Berichtenden zu schweben. Auch sind natürlich unsere Möglichkeiten des Protestes hiergegen im Moment massiv eingeschränkt. Dabei wäre es unter gewöhnlichen Umständen vermutlich nicht unglaublich schwer zu verhindern, sind sich doch nichtmal die Ausschüsse in dieser Sache einig [1].
Cover Picture by: Etienne Girardet